Kundgebung CSD Darmstadt 2013

Diese Rede habe ich am 17. August 2013 auf der Zwischenkundgebung der Demo-Parade gehalten.
Jetzt, nur 24 Stunden später hat sich schon wieder einiges positives und negatives in Russland getan und es wird wahrscheinlich auch so weiter gehen.

Foto: Roger Murmann
Foto: Roger Murmann

Dieses Jahr steht unser Christopher Street Day unter dem Motto "Mit vollem recht queer" und ich habe mich ehrlich gesagt daran gestört.

Natürlich will das Motto sagen, dass alle Menschen volle Rechte genießen dürfen sollten. Aber ich hab immer gedacht: mit diesem Spruch fragen wir doch irgendwie auch nach einer Daseinsberechtigung. Dass wir das Recht haben, queer, lesbisch, schwul, bi, trans* zu sein.

Und das fand ich nicht wirklich treffend. Daseinsberechtigung ist hier glücklicherweise kein Thema mehr. Selbst für Erika Steinbach und ihre schrillen Stammtischkumpels nicht!

Aber dann kamen die innenpolitische Stimmungsmache und die homophoben Gesetze in Russland. Ihr kennt alle die Berichte der letzten Zeit. Diktator Putin hat unseresgleichen für Freiwild erklärt. Mit dem Gesetz, das „Homosexuelle Propaganda“, also positive oder auch schon neutrale(!) Äußerungen über Homosexualität verbietet, wurde eine grausame Menschenjagd in Gang gesetzt. Man muss nämlich nicht nur befürchten, wegen einer Demonstration oder gleichgeschlechtlichen Händchenhaltens verhaftet zu werden und in den Knast zu kommen. Nein, die aktuelle Gesetzgebung treibt eine Bewegung von Selbstjustiz voran, deren Ausmaß kaum abzuschätzen ist. Selbst Soldaten lauern Homopaaren in ihren Wohnungen auf um sie zusammenzuschlagen wie vor drei Wochen aus Lipezk berichtet wurde.
Foren, Blogs und Webseiten rufen öffentlich dazu auf, uns zu identifizieren, uns Gewalt anzutun und uns zu ermorden. Die Hater verfolgen Jugendliche oder locken sie in eine Falle um sie vor laufenden Handykameras zu quälen. Wir müssen mit ansehen, wie 15-jährige Jungs öffentlich geoutet und gedemütigt werden. Wie man sie nötigt, schlägt, tritt und anpinkelt. Wir müssen zusehen, wie Leben zerstört werden. Leute, die bringen sich nach so einer Peinigung um.
Die Hater stellen ihre Videos ins Internet, unter ihrem echten Namen und diese Quälerei wird nicht verfolgt.
Was ist das für ein Gesetz zum Schutz der Kinder und Jugend, das 15-Jährige dazu bringt, einem 12-Jährigen Gewalt anzutun?
Der Unrechtsstaat Russland sieht weg, während Homosexuelle in den Tod getrieben werden und schickt diejenigen ins Arbeitslager die versuchen sich zu wehren.

Also ist es bei unserem CSD-Motto vielleicht doch gar nicht verkehrt, über Daseinsberechtigung zu sprechen. Genau die wird unseren Brüdern und Schwestern in Russland nämlich Stück für Stück abgesprochen.

Wir können uns kaum ausmalen, wie es in Russland weitergehen soll, wenn nicht bald etwas geschieht. Das Problem ist nicht allein die Gesetzgebung, sondern auch, die Mechanismen die dadurch angetrieben werden.

Aber während hier nur darüber gesprochen wird, ob man das Homo-Propaganda-Gesetz während der Olympischen Winterspiele in Sotchi vielleicht mal eben kurz für Gäste aus dem Ausland, und auch nur für diese, aussetzen könnte, geht die Jagd auf junge Russ_innen weiter. Und wenn die Sportler_innen und Fans wieder zurück im sicheren Deutschland, Schweden, Holland oder Spanien sind, ist das ganze Thema gleich vom Tisch?

Unsere Regierung hat bis zum heutigen Tag noch nicht mal versucht, Diktator Putin aufzuhalten. Wir reden hier nicht über irgendein Land mit dem Deutschland nichts weiter zu tun hätte. Es geht um einen Wirtschaftspartner und ein Land das seit jeher historisch mit Deutschland verbunden ist. Warum hat man Angst, Druck auszuüben?
Wo ist der Außenminister?
Wo ist die Bundeskanzlerin?


Was ist das Problem, zumindest mal im Eilverfahren das Asylrecht so zu verändern, dass Schwule und Lesben hier eine Zuflucht finden?

Und was ist mit dem Olympischen Komitee? Wann nutzt dieses international einflussreiche Institution endlich ihre Macht und verlegt diese verdammten Spiele in ein anderes Land?

Ich war froh, dass die Boykott-Debatten beendet sind und immer klarer ist: wenn diese Olympischen Winterspiele in Russland stattfinden, dann bringt es nichts, dem fernzubleiben. Sportler_innen, Verbände und Sponsoren dürfen nicht schweigen. Der Leichtathlet Nick Symmonds hat diese Woche in Moskau bewiesen, dass man den Mund aufmachen und sagen kann was man denkt. Nicht auszudenken, wäre er Zuhause geblieben und hätte damit die Gelegenheit verpasst, unter dem Risiko zwei Wochen in den Knast zu gehen für ein Menschenrecht einzustehen.
Aber nein. Dieses verdammte Olympische Komitee spielt Diktator Putin noch in die Hände und droht gestern mit Konsequenzen für Sportler_innen die ihren Protest ausdrücken wollen. Ich hoffe, sie lassen sich diesen Maulkorb nicht anlegen!

Ich fordere alle Sportverbände, Sponsoren, die Politik sowie Sportler_innen dazu auf, alles zu tun um die menschenverachtenden Entwicklungen in Russland anzuprangern und aufzuhalten. Druckt euch Regenbogentrikots! Haltet Händchen mit Kolleg_innen des gleichen Geschlechts! Zeigt Homo-Paare auf euren Werbebannern! Sagt in Interviews was ihr denkt. Oder ganz einfach: Lasst Sotchi als Austragungsort endlich sausen!

Die kurzfristige Verlegung der Spiele nach Vancouver wo sie zuletzt waren oder wohin auch immer wären der größte internationale Akt gegen Homophobie, den die Welt je gesehen hat, und wir wissen: Die Welt ist auch bereit dafür.


Die Geschichte lehrt uns zwei Dinge.

Erstens: wer um seine Rechte bettelt, wird keine Revolution erreichen.

Zweitens: von niemandem können unterdrückte Minderheiten mehr Hilfe erwarten als von ihrer eigenen Community. Auch WIR müssen alles dafür tun, die Deklassierung und Menschenhatz zu beenden. Beschwert euch! Empört euch! Fordert die Politik und Machthaber_innen auf, zu handeln. Droht den Sponsoren mit Boykotten ihrer Produkte, bittet die Sportler_innen sich für globale Rechte zusammenzuschließen und die Aufmerksamkeit die sie haben zu nutzen. Sucht Kontakte nach Russland, geht eingetragene Lebenspartnerschaften mit geflohenen Schwulen und Lesben ein, damit sie hier in Sicherheit bleiben können. Seid solidarisch!

Ich kann nur hoffen, dass unsere Brüder und Schwestern in Russland die Kraft haben, diesen Kampf zu kämpfen, aufzubegehren und sich in großen Massenprotesten die Rechte zurückzuholen die allen Menschen weltweit zustehen. Es gibt nicht mehr viel zu verlieren. Warum warten?

Der Christopher Street Day erinnert an die gewaltsamen Auseinandersetzungen 1969 in der New Yorker Christopher Street, welche die internationale Homo-Bewegung vorangetrieben haben. Ich beantrage jetzt schon im Voraus, unseren CSD im kommenden Jahr nach dem Ort zu benennen, der in Russland die gleiche Bewegung auslösen wird.

солидарность

Foto: Andread Kelm
Foto: Andread Kelm

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Kommentare: 2
  • #1

    Bernd CSD-Rhein-Neckar e.V. (Montag, 19 August 2013 09:03)

    Herzlichen Glückwunsch an das Orgateam des CSD-Darmstadt und an die beiden Redner der Kundgebung, es hat richtig viel Spaß gemacht bei der Parade dabei zu sein und den Reden der beiden mit Applaus zu zustimmen, ich hoffe der erste Redner hat seine Stimme wiedergefunden.
    Liebe Grüße aus Mannheim Bernd ;-))

  • #2

    Annabelle (Mittwoch, 21 August 2013 20:51)

    Hallo Rosa,
    super Rede, super Referentin, super Inhalt!
    Ich finde allerdings, dass wir nicht ausschließlich auf Russland schauen sollten. Russland mag zwar in Europa liegen und Wirtschaftspartner Deutschlands sein, aber das lässt Homosexuelle, die in Saudi-Arabien auf die Vollstreckung ihrer Todesstrafe warten, nicht weniger leiden. Wikipedia nennt - sage und schreibe! - 80 Länder, in denen Homo-, Bi- oder Transsexualität für mindestens eines der Geschlechter noch immer illegal ist!
    Putin mag ein homophones Schwein sein. Leider ist er damit nicht allein.