Unpolitische Paradetrinen

Ich freue mich jedes Jahr auf die CSD-Saison wie ein kleines Mädchen
auf Weihnachten.
Ohne lange herumzureden: Ich feiere wirklich sehr gerne. Ich mag es, draußen bei Live-Musik Sekt und Bier zu trinken, ich werde gerne fotografiert und guck mir gerne halbnackte Leute in verrückten Outfits an. Aber der CSD ist für mich auch ein Tag an dem ich auf dem Demozug etwas sagen will.

Am letzten Wochenende in Frankfurt war ich wieder mit der besten Frau
Schmidtchen bei der Parade und wir haben uns einen großen Teil des
Zuges angesehen, bevor wir uns selbst mit unseren Schildern eingereiht
haben und mitgelaufen sind. Natürlich liegt das Hauptaugenmerk einer Tunte auf den Schwestern die ebenfalls im Fummel mitlaufen. Es waren wieder ganz wunderbare Sachen dabei, tolle Kostüme und Haare aus krassen Materialien, vielleicht ein bisschen inflationär viele Feen- und Engelsflügel. Aber man sieht, wie viel Liebe da drin steckt und wie intensiv sich die Mädels drauf vorbereiten, sich über mehrere Kilometer zu Fuß oder stinkfaul gemütlich im Cabrio sitzend der Masse zu präsentieren.
Ich frage mich aber auch: Warum macht ihr das?

Um es vorher ganz klar zu sagen: Ich habe den allergrößten Respekt vor
jedem_jeder der_die bei einem CSD mitläuft. Gerade dann wenn er_
sie sich auffummelt oder sich zumindest geschlechtlich ein bisschen
uneindeutiger zeigt als uns von der Gesellschaft diktiert wird. Es
steckt schon viel Politik darin, wenn ein Mann in Frauenkleidern die
Straße runter läuft, ABER: Mädels, was ist euer Antrieb? Reicht euch das wirklich aus, angesehen und von dutzenden Handykameras aufgenommen zu werden? Ist das die Mühe wert, als Beispielbild für eine "kunterbunte Schrill-Parade" im Online-Fotoalbum von Regionalzeitungen aufzutauchen? Warum nutzt ihr euer Potenzial nicht aus? Ihr macht viel dafür, möglichst oft fotografiert zu werden. Dementsprechend werdet ihr auch mehr gesehen, fotografiert und veröffentlicht als die meisten anderen Teilnehmer_innen, die wirklich zum Demonstrieren gekommen sind. Wenn jede von euch ein Schild in der Hand hielte, ein Banner oder eine Schärpe tragen und sagen würde, was sich in dieser Gesellschaft verändern soll, würdet ihr aus einer Parade wieder eine Demonstration machen und eurem Auftritt mehr Bedeutung einhauchen als allein diese schmerzhafte, verschwitzte und unheimlich kurzlebige Illusion von Glamour, nur weil für zwei Stunden jeder eurer Schritte von allen Seiten festgehalten wird. Wir wissen alle, dass abseits der Paradestrecke das Leben als Tunte ganz anders aussieht. Oder ist noch keine_r von euch schon blöd angemacht oder bedroht worden? Hatte noch keine_r von euch ein komisches Gefühl, frühmorgens allein auf dem Bahnsteig? Warum das nicht einfach mal sagen?

Ich liebe die CSDs weil sie so kontrastreich sind. Drag Queens, nackte
Haut und schrille Vögel machen Demo-Paraden ein Stückweit bunter und liefern dem Publikum natürlich auch genau das, was es von uns erwartet: Gemäß der Tradition machen wir das was man uns vorwirft am allerliebsten und liefern den Betonköpfen mit Stock im Arsch einen weiteren Grund sich über uns zu ärgern. Gleichzeitig bedienen wir die Voyeurist_innen mit einer sexuell aufgeladenen Freakshow. Dennoch: Die CSD-Paraden gehören uns! Und w i r sollten entscheiden, was hier passiert und was aus ihnen gemacht wird.
Nicht nur wenn man die Überschriften in den Zeitungen liest und die
Klickstrecken im Internet ansieht, sondern auch wenn man sich
Teilnehmende auf der Parade ansieht, scheint es nur noch darum zu gehen, einer breiten Masse zu gefallen und sich so aufzufummeln, dass man Bewunderung und den Triggerfinger der Fotograf_innen auslöst. Wie viel hat das was jede_r einzelne von uns beim CSD präsentiert, eigentlich noch mit ihm_ihr zu tun? Was wir wirklich mit dem CSD und vor allem unserer Parade erreichen wollen, scheint in den Hintergrund zu rücken. Immerhin waren es auch und vor allem die Drag Queens in der Christopher Street die sich an vorderster Front gegen die Bullen gewehrt haben. Was heute bei den Gay Prides gefeiert wird, wurde auch durch die Tunten und Drag Queens erreicht, die eben nicht mit Schlips und Krawatte um ein bisschen mehr Rechte gebettelt haben sondern laut, tat- und schlagkräftig waren. Lasst uns als Erb_innen nicht vergessen, wo wir her kommen. Es geht um mehr als schöne Fummel.

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