Hate is in the air...

Ich kann es nicht auf den Tag genau bestimmen, aber es muss irgenwann im letzten Jahr geschehen sein: Ich habe bemerkt, dass ich seit Ewigkeiten in einer rosaroten Blase gelebt habe. In einer heilen Welt, in der man die Bösen an Springerstiefeln und Bomberjacken bzw. violetten Gewändern erkannt hat und alle anderen gut waren.

Als wir gesagt haben, dass wir jetzt einen CSD in Darmstadt machen, haben alle sich gefreut und geklatscht, die Parteien wollten uns treffen und alle sind sich freudig in die Arme gefallen.
Wir wussten anfangs gar nicht wofür und vor allem wogegen wir kämpfen würden: War eigentlich alles gut.
Dass wir so blauäugig gewesen sind, liegt vor allem daran, dass wir dort leben wo wir leben. Darmstadt ist so grünliberal, so verschlafen-egal, so schaumermal. Eine Stadt ohne Gegensätze. Wenn sich NPD-Nazis mal hierher verirren, dann kommt ein gesellschaftlicher Durchschnitt von 1000 Menschen, brüllt sie nieder und geht danach zurück zum Tagesgeschäft. Alle leben friedlich nebeneinander her, wer Ärger macht, kommt sicher von außerhalb.

Irgendwann musste sich das Blatt dann auch mal wenden. Ich erinnere mich noch, wann das rosarote Brillenglas seinen ersten Sprung bekam: Mir wurde der Brief eines aufgebrachten Bürgers weitergeleitet, der an den Oberbürgermeister appellierte, unseren ersten CSD im Jahr 2011 aufzuhalten, weil wir alle pädophil seien. Huch, da hat sich doch unter unsere paradiesische Kuppel ein Andersdenkender eingeschleust! Natürlich war man immer mal mit Homophobie konfrontiert, wir alle haben homophobe Brüder, Klassenkamerad_innen und Atzen in Clubs erlebt, sind mal angespuckt oder "perverse Sau" genannt worden. Aber das waren doch immer nur verunsicherte Jugendliche, Bildungsverlierer_innen oder religiös-fanatische Einzelopfer.

Dann rückten aber die Homo-Themen medial und politisch in den Focus der öffentlichen Aufmerksamkeit. 2013 wurde gewählt und zehn Jahre nach der Einführung der Eingetragenen Lebenspartnerschaft war es an der Zeit, mal über gleiche Rechte für alle zu sprechen. Und dazu hatten dann plötzlich viele ihre Meinung kundzutun.

...everywhere I look around

In Talkshows saßen Woche für Woche prominente Homos die nicht viel zu sagen hatten, Politiker_innen aus beiden Lagern und dann selbst ernannte Kinderschützer_innen, beleidigte Christ_innen und man zeigte einen Videoeinspieler mit unheimlich langweiligen schwulen oder lesbischen Paaren die irgendwie zu Kindern gekommen waren und ganz, ganz, ganz normal waren. Moderator_innen haben auch bei schlimmsten Beleidigungen so gut wie nie eingegriffen. Selbst die nicht, die von unserem Ufer stammen. Hätte man so über Jüd_innen, Schwarze oder Menschen mit Behinderung gesprochen, hätten viele Beteiligte ihre Jobs und ihr Ansehen für immer verloren. Aber über Homos durfte und darf noch ungefiltert alles gesagt werden. War ja auch alles mit Glauben, Moral und Bauchgefühl untermauert. In den Bundestagsdebatten wurde noch dazwischen gebrüllt, in den Talkshows musste man sich so gut es ging gegenseitig aussprechen lassen. Gebracht hat ja beides nichts.
Anfang September 2013 hatten wir einen Infostand auf dem Tag der Vereine in Darmstadt. Eine Rentnerin kam vorbei und ich habe ihr erklärt was unser queerer Verein so macht, sie hörte aufmerksam und stumm nickend zu. Alles wie immer: Jeder so wie er will, blabla. Erst als ich die Schulaufklärung ansprach, verengten sich ihre Pupillen. Das fände sie nicht gut. Ein Stadtfest ja, aber Kinder verführen... Sie ging weiter ohne dass ich ihr antworten konnte. Sie hatte mich und meinesgleichen zu Kriminellen gemacht und ohne Verhandlung verurteilt.

Und ich bin ihr im Nachhinein dankbar, dass sie das gemacht hat. Bis zu diesem Moment lief ich nämlich, ohne es zu bemerken, durch die Welt an Menschen vorbei, die genau so denken wie diese ignorante Großmutter: Schwule sind lustig und haben im Kleid sehr schöne Beine. Man sollte sie wirklich nicht mehr tothauen und wenn Homosexuelle glücklich mit ihrer Entscheidung sind, braucht man sie auch nicht zu heilen (außer sie wollen es). Aber sie heiraten lassen oder Steuergeschenke zu machen ist zu viel des Guten. Und ihnen unschuldige Kinder anzuvertrauen ist gefährlich. Man ist ja tolerant, aber bevor die uns alle mit AIDS anstecken... sollten wir wirklich aufpassen, dass die Werte unserer jüdisch-christlichen Nation... und die dürfen doch schon so viel und sollen froh sein dass niemand sie mehr...

Nach der Wahl

Vollkommen den Glauben verloren habe ich, nachdem die Bundestagswahl eindeutig den homophoben Besen Angela Merkel als Kanzlerin bestätigt hat. Ich habe mich dazu hier ausreichend ausgelassen. Eine bedrückende Mehrheit hat für Diskriminierung gewählt. Kommentatorin susi hat mich daran erinnert, dass das "BUNDESTAGSWAHL" war und keine Abstimmung über Homorechte und dass die Menschen auch wegen anderer Themen CDU gewählt hätten. Ich frage mich ob es einen großen Unterschied macht, ob man CDU wegen oder trotz der Diskriminierung wählt. Für mich nicht. Immerhin besteht diese Partei aus Leuten die homophob sind und setzt unsere größten Gegner_innen in wichtige Ämter: Katherina Reiche tanzte am Wahlabend mit (wie immer) tränennassen Augen zusammen mit den ganzen anderen Homophoben freudestrahlend auf dem Siegertreppchen.

Ich will jetzt nicht diesen blöden "Wer hat uns verraten?"-Spruch bringen, aber auch die SPD, die sich im Wahlkampf ganz ganz ganz stark für uns gemacht hat, ist innerhalb der Koalitionsverhandlungen eingeknickt. So wichtig kann es denen auch nicht gewesen sein.

 

Das ganze ist halbwegs verdaut, da kommt diese unsägliche Petition bei openpetition, wo jede_r irgendeinen Appell an irgendwen starten und unterschreiben lassen kann. Da wird gefordert, dass Aufklärung über Homosexualität auf gar keinen Fall in baden-württembergischen Schulen betrieben werden darf, weil die Kinder sonst krank, schwul und pervers werden. Und das haben fast 58.000 aufrechte Bürger_innen (Stand: 08.01.2014) unterschrieben. Der SWR berichtete, dass diese Petition von Rechten und Fundis unterstützt würde. Wenige Tage später wurde auf Beschwerden hin diese Passage gelöscht und durch eine Pro- und Contra-Liste ersetzt. Da kann man jetzt sauer sein, dass öffentlich rechtliche Medien den Schwanz einziehen, oder man kann es von der anderen Seite betrachten: Auch wenn NPD, PI, idea und alle anderen diese Petition bewarben, so waren es doch sehr viele andere, die da unterschrieben haben. Die Hater-Organisationen schüren den Hass und tragen zur Verbreitung von falschen Informationen und homophoben Petitionen bei. Aber die Unterzeichner_innen sind letzen Endes der Kellner aus deinem Lieblingscafé, die andere Hundebesitzerin die beim Gassigehen nett grüßt, das Paar aus der Erdgeschosswohnung oder wichtige Leute in Nachrichtenredaktionen.

 

Wie schön war es doch in dieser zuckersüßen Blase.

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