Tunten, greift zum Transparent!

Dieser Artikel von mir wurde am 08.06.2014 leicht verändert auf queer.de veröffentlicht. Ich bin stolz wie Lady Oskar!

Hier noch die Originalfassung für euch und natürlich eine Review der bösesten Kommentare ganz unten:

 

Ich freue mich jedes Jahr auf die CSD-Saison wie ein kleines Mädchen auf Weihnachten. Ohne lange herumzureden: Ich feiere wirklich richtig krass gerne. Ich mag es, draußen bei Live-Musik Sekt und Bier zu trinken, ich werde gerne fotografiert und guck mir mit Leidenschaft halbnackte Leute in verrückten Outfits an. Aber der CSD ist für mich auch ein Tag an dem ich auf dem Demozug etwas sagen will.

 

 

In den letzten Jahren habe ich mir mit Freunden große Teile der homosexuell veranlagten Demo-Paraden angesehen, bevor wir uns selbst mit unseren Schildern eingereiht haben um mit zu laufen. Natürlich liegt das Hauptaugenmerk einer Tunte auf den Schwestern die ebenfalls im Fummel mitlaufen. Es sind natürlich immer wieder ganz wunderbare Sachen dabei, tolle Kostüme und Haare aus extraordinären Materialien, im letzten Sommer vielleicht ein bisschen inflationär viele Feen- und Engelsflügel, aber was soll man machen. Man sieht, wie viel Liebe zwischen Taft und Pailette steckt und wie intensiv sich die Mädels drauf vorbereiten, sich über mehrere Kilometer zu Fuß oder stinkfaul gemütlich im Cabrio sitzend der Masse zu präsentieren.
Ich frage mich aber auch: Warum macht ihr das?

Um es vorher ganz klar zu sagen: Ich habe den allergrößten Respekt vor jedem_jeder der_die bei einem CSD mitläuft. Gerade dann wenn er_sie sich auffummelt oder sich zumindest gendermäßig ein bisschen uneindeutiger zeigt, als uns von der Gesellschaft diktiert wird. Es steckt schon viel Politik darin, wenn ein Mann in Frauenkleidern die Straße runter läuft, ABER: Das kann nicht der einzige Antrieb sein, oder? Ich quäle mich doch nicht morgens um halb sieben vor den Spiegel und pappe mir diese verdammt widerspenstigen Plastikwimpern auf die Lider, lasse mich von drei Leuten in ein verdammt aufwendig gestaltetes Kleid zwängen und renne dann nassgeschwitzt und viel zu spät zum Aufstellungsort, nur um angesehen und von dutzenden Handykameras aufgenommen zu werden. Ist das die Mühe wert, als Beispielbild für eine "kunterbunte Schrill-Parade" im Online-Fotoalbum von Regionalzeitungen aufzutauchen? Warum nutzen wir unser Potenzial und die Macht unserer übernaütlichen Unglaublichkeit unglaublichen Übernatürlichkeit nicht aus? Drag Queens und Fummeltrinen zwischen München und Hamburg machen Jahr für Jahr viel dafür, möglichst oft fotografiert zu werden. Dementsprechend werden wir auch mehr gesehen, fotografiert und veröffentlicht als die meisten anderen Teilnehmer_innen, die wirklich zum Demonstrieren gekommen sind. Wenn jede von uns ein Schild in der Hand hielte, ein Banner oder eine richtig toll zum Outfit passende Schärpe tragen und sagen würde, was sich in dieser Gesellschaft verändern soll, würden wir aus einer Parade ein Stück mehr Demonstration machen und unserem Auftritt mehr Bedeutung einhauchen, als allein diese schmerzhafte, verschwitzte und unheimlich kurzlebige Illusion von Glamour, nur weil für zwei Stunden jeder unserer Schritte von allen Seiten mit einer Kamera festgehalten wird. Wir wissen alle, dass abseits der Paradestrecke das Leben als Tunte ganz anders aussieht. Oder ist noch keine_r von uns trotz geilem Lidschatten schon saublöd angemacht oder bedroht worden? Hatte noch keine_r von uns ein komisches Gefühl, frühmorgens allein auf dem Bahnsteig? Warum das nicht einfach mal sagen? Warum nicht mal aussprechen wie viel Protest in dem steckt was wir verkörpern?

 

 

Ich liebe die CSDs weil sie so kontrastreich sind. Drag Queens, nackte Haut und schrille Vögel machen Demo-Paraden ein Stück weit bunter und liefern dem Publikum natürlich auch genau das, was es von uns erwartet: Gemäß der Tradition machen wir das, wofür man uns für pervers hält am allerliebsten und liefern den Betonköpfen mit Stock im Arsch einen weiteren Grund sich über uns zu ärgern. Gleichzeitig bedienen wir die Voyeurist_innen mit einer sexuell aufgeladenen Freakshow. Dennoch: Die CSD-Paraden gehören uns! Und w i r sollten entscheiden, was hier passiert und was aus ihnen gemacht wird. Nicht nur wenn man die Überschriften in den Zeitungen liest und die Klickstrecken im Internet ansieht, sondern auch wenn man sich Teilnehmende auf der Parade um guckt, scheint es nur noch darum zu gehen, einer breiten Masse zu gefallen und sich so aufzufummeln, dass man Bewunderung und den Triggerfinger der Fotograf_innen auslöst. Wie viel hat das was jede_r einzelne von uns beim CSD präsentiert, eigentlich noch mit ihm_ihr zu tun? Was wir wirklich mit Gay Prides und vor allem unseren Paraden erreichen wollen, scheint in den Hintergrund zu rücken. Wir müssen uns bewusst machen, wer unsere Gegner_innen sind und uns denen auch entgegen stellen. Wenn moralinsaure Spießer_innen glauben, dass wir den Verfall irgendwelcher Werte darstellen, dann soll die CSD-Parade auch genau das sein!

 

Immerhin waren es auch und vor allem die Drag Queens in der Christopher Street die sich an vorderster Front gegen die Bullenschikane gewehrt haben. Was heute bei den Gay Prides (und vielleicht auch irgendwann mal nach der Wiedervereinigung bei einem „Stonewall“) gefeiert wird, wurde auch durch die Tunten und Drag Queens erreicht, die eben nicht mit Schlips und Krawatte um ein bisschen mehr Rechte gebettelt haben sondern laut und schlagkräftig waren. Lasst uns als Erb_innen nicht vergessen, wo wir her kommen und zumindest mit Worten draufhauen! Es geht um mehr als das bisschen Glamour.

 


Kommentare von Leser_innen!

Das könnte fast schon mein endgültiger Favorit werden. Nur wenige Minuten nach Veröffentlichung hat Thorin bereits sein gesamtes homopolitisches und bewegungsgeschichtliches Wissen zusammengenommen und sinnerhaltend auf drei Sätze runter gekürzt um uns den Weg in die Zukunft zu weisen. Danke!

Ralf wollte seine Zeit nicht damit verschwenden, meinen Text zu lesen, aber uns trotzdem an seiner Meinung teilhaben lassen. Die drei Worte auf dem Vorschaubild reichen dafür vollkommen aus.

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