Rede bei der Sommerschwüle 2016

Am 23. Juli habe ich auf der Sommerschwüle - CSD Mainz 2016 eine Rede halten dürfen. Eigentlich sollte ich bei der Zwischenkundgebung der Demo sprechen. Leider hatte unser Zug einen Unfall, sodass ein Großteil der Aktivist_innen aus Darmstadt  (inklusive mir) erst nach der Demo am Gutenbergplatz ankam.
Die Veranstalter_innen haben mich kurzfristig auf der Hauptbühne sprechen lassen. Ich danke euch dafür!
Hier nun meine Rede zum Lesen, Teilen und Diskutieren:

 

fotografiert von Matt Madison - overline.tv
fotografiert von Matt Madison - overline.tv

Hallo meine lieben Menschen!

Auch ich begrüße euch ganz herzlich zum Christopher Street Day 2016 in Mainz!
Toll, dass wir alle da sind!
Vielen Dank für den netten Empfang - Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, in so viele nette Gesichter zu schauen.

Das Motto des diesjährigen CSD lautet „Ganz. Schön. Anders.“
Die Organisator_innen haben dieses Motto nicht ohne Grund als drei einzeln für sich stehende Worte markiert. Natürlich ist es oftmals ganz schön, anders zu sein und sich, so wie einige von uns heute, mit pompöösem Makeup, Federn, Glitzer, halsbrecherischen Absätzen und aufsehenerregenden Outfits vom Mainstream abzuheben. Schließlich wollen wir auf uns und unsere Belange aufmerksam machen.
Dennoch: Diese drei Worte: Ganz. Schön. Anders. stehen heute auch jeweils für sich.

Das Wort „Ganz“ fragt danach, ob wir denn ganz und vollständig Teil dieser Gesellschaft sind. Wie oft müssen wir uns anhören: „Ihr habt doch alles erreicht, ihr dürft doch alles!“ oder „Das ist mittlerweile kein Problem mehr, was wollt ihr denn noch?“
Aussagen, die nicht nur von heterosexuellen CDU-Menschen kommen, sondern auch von unseren eigenen Leuten. Und denen können wir nur immer wieder antworten: Nein, wir haben nicht alles erreicht. Noch nicht!
Wir stehen heute aus vielen Gründen hier. Ich weiß aber, dass ein großer Teil von uns heute demonstriert, weil gleichgeschlechtliche Paare nicht heiraten dürfen. Weil es nach wie vor Benachteiligungen bei der eingetragenen Lebenspartnerschaft gibt und weil Kinder aus Regenbogenfamilien diskriminiert werden.
Auch wenn nicht jede_r heiraten oder eine Familie gründen will:
Wir wollen alle Möglichkeiten haben!
Wir wollen die vollständige Gleichstellung!
Wir fordern die Öffnung der Ehe!

Wir stehen hier heute auch, weil transsexuelle und intersexuelle Menschen sich kaum als Ganzes fühlen können, solange sie auf allen Ebenen Diskriminierung, Benachteiligung und Unrecht erleben. Wir haben ein Rechtssystem, das die Selbstauskunft einer Person über ihr Geschlecht nicht anerkennt. Transsexuelle müssen sich psychologischen Begutachtungen, behördlichen Hürden und gerichtlichen Urteilen aussetzen, allein um ihren Vornamen ändern zu lassen. Bis heute werden Menschen mit Geschlechtsmerkmalen, die nicht eindeutig männlich oder weiblich interpretiert werden, teilweise ohne ihr Wissen und ohne ihre Zustimmung zwangsoperiert. Opfer dieser Verstümmelungen haben bei Klagen gegen das, was ihnen angetan wurde oftmals keine Chance. Weil sie allein kämpfen müssen gegen einen Gegner, der sehr viel mächtiger ist und dessen Atem länger ist.
Trans* sein, intergeschlechtlich sein ist nicht krank sein.
Wir wollen ein Ende der Pathologisierung!
Wir wollen keine Sondergesetze!
Wir fordern die Anerkennung aller Geschlechter! Ohne Therapiezwang und Beweisschuld!
Wir wollen Selbstbestimmung!

Der zweite Teil des Mottos ist das schöne Wörtchen „Schön“.
Und ohne Frage: Wir bilden hier wieder eine der schönsten Demonstrationen die ich je gesehen habe. Und viele von uns werden morgen früh aus der Rheingoldhalle wanken und sich gegenseitig sagen, wie schön dieser Tag war.

Wie die Webseite der Sommerschwüle es angedeutet: Bei all der Kaufkraft, der hohen Bildung und dem tadellosen Gesundheitsbewusstsein muss es doch wirklich sehr schön sein, ein Homo zu sein. Es erscheint sogar sehr wirtschaftlich, die Diversität in Unternehmen zu managen und kinderlose, doppeltverdienende Homopaare sind offenbar tolle Mieter_innen...

Aber bei aller Liebe: Es geht noch schöner.
Insbesondere homosexuelle und trans* Jugendliche leiden unter Ablehnung und Diskriminierung in der Schule, der Freizeit und in der Familie.
Etwa die Hälfte der Schwulen und Lesben unter 25 hat Mobbing, öffentliche Beschimpfungen und Gewalt erlebt. Dies schlägt auf das Gemüt. Depressionen und andere psychische Erkrankungen sind bei queeren Jugendlichen viel weiter verbreitet als bei anderen. Jugendliche und junge Menschen mitten im Coming Out-Prozess fühlen sich überdurchschnittlich häufig einsam und sozial isoliert, verlieren Freunde und wissen nicht, mit wem sie reden können.
Ignorante und lieblose Elternhäuser sind der Grund, weshalb viele Jugendliche nach ihrem Coming Out auf der Straße leben. Sie ergreifen die Flucht oder werden rausgeschmissen.
Ebenso ist das Suizidrisiko ist bei homosexuellen und vor allem trans* Jugendlichen deutlich höher als bei cis-heterosexuellen.
Wo kommt das alles her? Das kommt von unaufgeklärten Gleichaltrigen, von homophoben Lehrer_innen, transphoben Erzieher_innen, schlechten Eltern und von der allgemeinen Ansicht, dass Heterosexualität und überkommene Geschlechterrollen das einzig Wahre seien.
Es kommt von konservativen, religiösen und rechten Stimmungsmacher_innen, die in den Parlamenten immer mehr Gehör finden. Es kommt von fundamentalistischer Hetze, die immer mehr Anhänger_innen findet.

Wir stellen uns dem entgegen!
Wir wollen eine aufgeklärte Gesellschaft, die Vielfalt anerkennt!
Wir wollen, dass es den jungen Menschen, die jetzt gerade in dieser Sekunde ihr Coming Out haben, dies ohne Angst und Ablehnung erleben können.
Wir fordern queere Jugendgruppen in jeder Stadt!
Wir wollen Sensibilisierung für queeres Leben in allen Klassen!
Wir fordern mehr SCHLAU und weniger DUMM!
Dafür sind wir heute und an jedem anderen Tag laut!

fotografiert von Matt Madison - overline.tv
fotografiert von Matt Madison - overline.tv
Zum Abschluss noch ein paar kurze Worte zum letzten Teil des Mottos: Anders.
Heute ist hier alles ein bisschen anders. Heute und hier auf diesem Platz ist die LGBT-Minderheit deutlich in der Mehrheit. Wir sehen uns um und sehen Menschen, die so sind wie wir. Wir fühlen uns sicher und gut. Wir gehen ganz anders die Straße entlang. Wir winken und man winkt aus den Fenstern zurück.
Aber wer wie ich schon mal im Fummel abseits des CSD-Treibens in eine Seitenstraße abgebogen ist, weiß, dass sich diese scheinbare Sicherheit schnell ins Gegenteil verkehren kann. Letztes Jahr bin ich von einer Demo zum Auto gelaufen und man hat eine Flasche nach mir geworfen. Ich denke, dass die meisten unter euch, die nicht immer eindeutig nach Mann oder Frau aussehen, oder die sich in der Öffentlichkeit händchenhaltend mit einer gleichgeschlechtlichen Person zeigen ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Wir sind anders und das bekommen wir auch oft genug zu spüren. Und manchmal kann dieses Anderssein auch wirklich nerven. Nicht weil es blöd ist, lesbisch, schwul, bi, inter*, trans*oder queer zu sein. Sondern weil andere damit nicht klar kommen.
Niemand kann sich dazu entschließen, homo, bi, inter*, trans* zu sein.
Aber jede_r kann sich entschließen, kein Arschloch zu sein und jeden Menschen zu akzeptieren.

Wir sagen heute und an jedem anderen Tag, dass wir Vielfalt und Anders-Sein, als etwas Positives sehen. Wir wollen und können auch eine Gesellschaft sein, in der Menschen verschieden sein dürfen und ohne Diskriminierung zusammen leben.
Vielfalt und Verschieden-Sein ist für die einen leichter und fällt anderen schwerer. Vielfalt und Akzeptanz vom Anders-Sein der Mitmenschen ist manchmal sogar eine echte Herausforderung. ich rufe euch alle auf, diese Herausforderung anzunehmen!
Ich wünsche mir eine starke Community, ich wünsche mir weiterhin engagierte schwule Strukturen, starke und emanzipierte Lesbengruppen, ich wünsche mir selbstbewusste Bisexuelle, ich wünsche mir einen lauten Trans*aktivismus und ich wünsche mir entschlossene intersexuelle Menschen!
Und ich wünsche mir und euch, dass wir alle gemeinsam solidarisch und gemeinschaftlich füreinander und miteinander kämpfen.

Und damit will ich euch nun weiter ziehen lassen:

Steht auf! Bleibt laut! Setzt euch füreinander ein! Lasst euch nicht unterkriegen, haltet zusammen!
Tretet Homophobie und Transphobie in den Arsch!

Stonewall was a riot  - Refugees Welcome - Nazis raus - Danke

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