Rede beim CSD Darmstadt 2016

Das war der nasseste CSD den ich jemals mitgemacht habe. Zum Glück.
Denn nach den Reden von Andrea Krieger und Dirk Ludigs, nach der beeindruckenden Demo durch die Innenstadt, der Eröffnung mit dem Oberbürgermeister und wichtigen Leuten aus der CSD-Orga, dem besten Lineup das wir jemals hatten und den guten Politdiskussionen und der schönsten After-Show-Party ever wäre der CSD Darmstadt 2016 einfach für immer unerreicht geblieben, wenn wir auch noch Sonnenwetter gehabt hätten.
Auf dass wir nächstes Jahr wieder versuchen, uns selbst zu übertreffen! (Und auf 23 Grad mit Sonne-Wolken-Mix...)

Hallo meine lieben Menschen!

Ich begrüße euch zum Christopher Street Day 2016 in Darmstadt! Toll, dass wir alle da sind!
Ihr seid Teil der bisher größten CSD-Demo hier in dieser Stadt. 27 Gruppen haben sich angemeldet und ich kann von hier oben aus sagen, dass heute so viele Regenschirme auf dem Luisenplatz stehen, wie in keinem Jahr zuvor!
Das Motto des diesjährigen CSD lautet „Liebe, Sex und Widerstand!“

Die Frankfurter Rundschau hat die Ankündigung des CSD Darmstadt getitelt mit „Werben für Verständnis und Toleranz“. Da hat man schon keine Lust mehr, weiter zu lesen. Das hört sich ja fast an, wie „Betteln für Mitleid“.
Nein! Wir werben nicht um „Verständnis“. Wir fordern unsere Rechte ein, die man uns immer noch vorenthält.
Wir wollen der Diskriminierung von sexuellen Minderheiten ein Ende machen! Das ist was wir wollen!

Ich kann mir nichts davon kaufen, dass jemand „Verständnis“ für mein Schwulsein hat. Ich weigere mich, mich damit zufrieden zu geben, dass jemand Nachsicht mit mir hat, weil ich nicht so bin wie andere. Wir wollen nicht einfach nur toleriert oder geduldet werden.
Wir fordern Gleichberechtigung, Respekt und Anerkennung!

Es reicht mir, mit dem Werben um Verständnis.

 

Mir geht auf die Nerven, wenn in den Online-Klickstrecken von Regionalzeitungen wieder nur gezeigt wird, wie „schrill“ der „Umzug“ war und alle dann wieder zur vermeintlichen Normalität zurückkehren, in der die bunten Vögel vom CSD wieder wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden.
Und es reicht mir mit dem Anbiedern an traditionelle Vorstellungen davon, wie Menschen sein sollen und wie sie zu leben haben. Ich hab keinen Bock darauf heteronormativen Pressmustern hinterher zu hecheln, die von 3000 Jahre alten Schriftrollen nachgebetet werden.
Ich hab keinen Bock darauf, dass man nur ein guter Schwuler sein kann, wenn man eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingeht, so tut als hätte man das Wort Analverkehr noch nie gehört und sich höflich für sein Anderssein entschuldigt.
Ich hab genug davon, dass Menschen als Schlampen beschimpft werden, sobald sie mit mehr
Leuten schlafen, als irgendwelche Moralvorstellungen ihnen erlauben.

Foto: e. kneer (www.schoeneer.de)
Foto: e. kneer (www.schoeneer.de)

Es reicht mir damit, dass wenn Prominente über ihre HIV-Infektion sprechen, die Zeitungen schreiben, sie hätten ein „Geständnis“ abgelegt. Als hätten die was verbrochen!
Ich hab keinen Bock auf Faschos in Parlamenten, die fordern, dass Schwule gezählt oder sogar eingesperrt werden.
Ich hab keinen Bock auf rückgratlose Abgeordnete im Bundestag die sich aus Angst vor Stimmenverlust gegen stellen,
keinen Bock auf Unikanzler, die sich mit aller Kraft weigern die Regenbogenfahne zu hissen,
keinen Bock auf hängengebliebene Feiglinge die im Internet über unsere Vergasung fantasieren,
ich hab keinen Bock auf die AfD-Nazis die sich überall breit machen,
keinen Bock auf die verlogenen Schnepfen von der sogenannten Demo für Alle, die sich hinter Bibelversen verstecken
und ich hab auch keinen Bock auf alle anderen, die sich offenbar nur besser fühlen, wenn sie auf Minderheiten eindreschen können.
Leute, ihr könnts euch denken: Das macht mich alles ein klein wenig wütend!

 

Besonders wütend hat mich der Anschlag auf das Pulse in Orlando gemacht. Ein Mensch stürmt einen Gay Club und eröffnet das Feuer auf die Anwesenden. 49 Menschen sterben durch seine Hand. 49 Menschen, die dort ausgelassen feiern wollten, 49 Leute, die unter ihresgleichen sein wollten, weil sie sich dort sicher fühlen. In einem Schutzraum, der ihnen gehört, in dem sie ganz sie selbst sein können und in dem sie keine homophoben oder transphoben Attacken zu befürchten haben. Ein Ort an dem sie keine Minderheit sind.
Der Angriff auf das Pulse hat uns getroffen wie ein Schlag ins Gesicht.
Dieses Ereignis hat zumindest mich ganz lange sprachlos gemacht.

An einem Tag, an dem die queere Community eine solch erschütternde Nachricht erhalten hat, haben uns stümperhafte Reaktionen von Politik und Medien keine Zeit gelassen, zu realisieren was da überhaupt geschehen ist. Wir hatten keine Gelegenheit, für uns zur definieren, was dieser Anschlag bedeutet, für uns bedeutet, oder, sofern wir wollten, zu trauern.
Sofort zwingt uns die Bundeskanzlerin mit ihrem Verschweigen und Unsichtbarmachen der  Opfergruppe zum politischen Handeln. Die Kanzlerin tat ebenso wie einige andere konservative Kommentator_innen so, als sei dies ein Anschlag auf die offene Gesellschaft gewesen. Als sei es, wie so häufig zitiert, ein Angriff auf „uns alle“.

Und dazu kann ich nur antworten. Nein Frau Merkel, du warst nicht gemeint. Du würdest nämlich nie in einen Gay Club gehen. Du gehörst da nicht hin und hast da nichts zu suchen.
Es macht mich rasend, dass das Leid und der Terror, der queeren Menschen angetan wird, noch nicht mal nach einem solchen brutalen Akt anerkannt werden. Der Kanzlerin kommen die Worte „schwul“ und „lesbisch“ ohnehin schon sehr schwer über die Lippen. Aber in ihrem ersten Statement haben Ignoranz und Berechnung sie verschweigen lassen, dass es eben nicht „wir alle“ sind, die im Pulse erschossen wurden, sondern die queere Community.

Statt uns zu besinnen und zu sammeln, mussten wir wieder bitten. Merkel, sag wer die Opfer waren. Berlin, knips‘ das Licht am Brandenburger Tor an. In einer Zeit, in der wir eigentlich einen Moment der Stille gebraucht hätten, waren wir wieder einmal gezwungen laut zu sein, und andere vor uns her zu treiben.
Ich finde das auch heute, nach zwei Monaten, noch unerträglich.

Ich will zurück zu unserem Motto kommen. Liebe, Sex und Widerstand.

 

Ich habe hierzu viele Reaktionen gehört. Die meisten waren positiv. Manche Kommentare bewerteten das aber auch anstößig. „Liebe gut, ja klar. Jede Jeck is anders, nä? Aber Sex…? Hui, ganz schön forsch. Muss man denn immer so sexbetont sein und das vor sich her tragen?“ Geschenkt…
Aber Widerstand? Da habe ich auch aus den eigenen Reihen Leute gehört, denen so eine Kampfansage zu hart ist. Die lieber nichts machen wollen, die vielleicht auch Angst haben, dass uns das zum Nachteil gereichen kann.

 

Was ist denn mit diesem Widerstand eigentlich gemeint? Keine Ahnung. Ich kann euch sagen, was dieser Widerstand für mich bedeutet.
Er bedeutet für mich, nachzufragen, was eine Person bezweckt, wenn sie jemanden „Schwuchtel“ nennt. Es bedeutet für mich, mich neben jemanden zu stellen, der in Not ist und von niemandem sonst Hilfe erhält.
Es bedeutet, mich einzusetzen für die, die schwächer sind als ich.
 
Die meisten hier kennen solche Situationen, in denen wir unsere sexuelle Identität lieber verstecken, in denen wir versuchen, vor anderen zu verschwinden, um keine Probleme zu bekommen. Widerstand bedeutet, sich dafür einzusetzen, dass es diese Situationen nicht mehr gibt. Mit allem was wir haben.

Regungslos bleiben und Über-sich-ergehen-lassen haben dazu geführt, dass homophobe Pseudochrist_innen und Nazis voller Selbstbewusstsein gegen uns auf die Straße gehen und unsere Rechte beschneiden wollen.
Widerstand bedeutet, dagegen zu halten, solche Meinungen nicht unwidersprochen  zu lassen. Sich zu beschweren und zu wehren.
Ich rufe euch dazu auf, heute und an jedem anderen Tag:
Seid kämpferisch, lasst euch nix gefallen!

 

Seid solidarisch und steht füreinander ein!

 

Versteckt euch nicht! Und lasst euch nicht aufhalten!

Genug mit dem Stillstand, Bewegung bedeutet: Sich bewegen!

 

Tretet Homophobie und Transphobie in den Arsch!

 

Stonewall was a riot  - Nazis raus! – Refugees Welcome - Danke!

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