Rede beim CSD Darmstadt 2017

Ich glaube, das war der beste Christopher Street Day den ich in Darmstadt je erlebt habe. Es waren unwahrscheinlich viele Menschen da, und wir hatten ein sehr gutes Programm mit großartigen politischen und künstlerischen Beiträgen.

Es bleibt wichtig, sich für die Rechte von Minderheiten einzusetzen. Es bleibt wichtig, zu Demonstrationen zu gehen und sich Gehör zu verschaffen. Der CSD ist ein wichtiges Element unserer Bewegung. Er ist da um zu feiern, zu erinnern, zu gedenken und Forderungen zu formulieren. Er macht uns stark und hält uns wachsam.

 

Wie auch in den letzten Jahren durfte ich bei der Zwischenkundgebung der Demonstration auch eine Rede halten. Für diese Gelegenheit bin ich sehr dankbar und ich bin auch wirklich stolz, diese Rolle einnehmen zu dürfen und ein Teil des CSD zu sein.
Danke CSD Darmstadt! Danke vielbunt!

 

Hallo meine lieben Menschen!

 

Ich begrüße euch ganz herzlich zum CSD Darmstadt 2017 – ich bin außer mir!

 

Außer sich sein, ist ja oft so beides. Gut und schlecht.
Ich bin außer mir vor Freude, weil ich wieder einmal in so viele Gesichter schauen darf und man mir Zeit am Mikrofon gibt.
Ich bin aber auch außer mir, weil es immer noch so viele ernsthaft bedrückende Gründe gibt, einen CSD nicht nur zu feiern und an die Kämpfe zu erinnern, die ausgefochten wurden, sondern weil immer noch so viel Scheiße läuft, wenn man sich die Situation von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Trans* anschaut.

 

 

Noch vor gut 7 Wochen waren wir im Taumel: Urplötzlich steht die #EhefürAlle im Bundestag zur Debatte. Ich weiß nicht wie es euch ging, aber ich bin zum ersten Mal seit ich die Schule verlassen habe mal wieder um 7 Uhr morgens aufgestanden und war so aufgeregt, als würden wir eine Klassenarbeit schreiben.

 

Die Entscheidung, die Ehe für alle Paare unabhängig des Geschlechts zu öffnen, hat viele von uns in eine wahre Feierlaune versetzt. Selbst die, die überhaupt nie heiraten wollten, sind in freudiger Erwartung, vielleicht überraschend einen Antrag zu bekommen zu unserer spontanen Kundgebung hier auf den Luisenplatz gerannt. Es ist unbeschreiblich gewesen, endlich mal mit einer Regenbogenfahne zu einer Versammlung zu gehen, die einfach nur dazu dient, etwas zu feiern. Keine Mahnwache bei der wir Kerzen anzünden, kein Faschoaufmarsch, den wir mit grimmiger Miene verhindern müssen. Einfach eine längst überfällige Entscheidung einer zuvor eher unentschlossenen Regierung.
Wie unwürdig die Diskussionen abliefen, war in der ganzen Sektlaune auch mal kurz vergessen.

 

Aber ich will noch mal kurz erinnern: Die Entscheidungsfindung zur Ehe für Alle hat uns auch wieder in Abgründe blicken lassen. Die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer sieht bis heute das Fundament der Gesellschaft in Gefahr. CDU-Abgeordnete im Bundestag vergleichen Schwule und Lesben mit Tieren, bei der CSU hat man eine Verfassungsklage angekündigt. Und die Sexexperten von der Katholische Kirche protestieren, dass die Schöpfungslehre (also das mit der Rippe und der sprechenden Schlange) in Gefahr sei. Über die faschistischen und nazistischen Arschlochhetzreden von der AfD brauche ich nichts zu sagen. Wenn die reden hat man das Gefühl, man wird beim Zuhören dümmer.
Wenn es nicht so sehr von schlimmer Homofeindlichkeit und insgesamt Abscheu gegenüber allen die anders sind geprägt wäre, wäre es ja beinahe schon unterhaltsam, wie die sogenannte „Demo für Alle“ auch noch verzweifelt versucht hat, mit einer Onlinepetition die Entscheidung abzuwenden. Wann erkennt dieser Loser-Verein endlich, dass sie absolut auf dem falschen Dampfer sind?

 

Auch wenn es eine katastrophale Situation ist, dass ein Parlament über uns und die Art wie wir zu leben haben, entscheidet, so haben wir hier dennoch einen Teilerfolg erreicht und können uns nun anderen wichtigen Dingen widmen. Somit bleibt die Öffnung der Ehe als Tag im Gedächtnis, an dem etwas erreicht wurde, wofür Generationen von Aktivist_innen lange stricken mussten und was ohne deren Arbeit kein Brigitte-Interview hätte erwirken können. Ich sage danke, an alle die gekämpft haben und in Richtung der Bundesregierung zitiere ich: „Danke für nichts“, es wurde jetzt halt einfach höchste Zeit.

 

Aber der ganze Heiratsrausch wird überschattet von anderen Dingen. Die Zahl der homo- und transfeindlichen Hassverbrechen in Deutschland steigt. Nicht zuletzt wegen der Hetze der gerade genannten Arschgeigen. Ob verheiratet oder nicht: auf offener Straße zu zeigen, dass man anders ist, kann leicht zum Verhängnis werden. Ich bin dieses Jahr bereits zweimal von wildfremden Typen als „Schwuchtel“ beschimpft worden und ich bin mir sicher, dass einige von euch, die es leid sind sich zu verstellen, nur um unter dem Radar zu verschwinden ähnliches, wenn nicht sogar Schlimmeres erleben müssen. Egal wo man hinschaut: In der U-Bahn, auf dem Schulhof, in Kommentarspalten oder im Fußballstadion. Hass und Gewalt gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans* gibt es nach wie vor überall.
Leute, wir dürfen uns das nicht gefallen lassen! Es ist auch nach der Ehe für Alle noch viel zu tun! Seid stark, bleibt wer ihr seid und setzt euch füreinander ein!

 

 

 

 

Und auch dieses Jahr erreichen uns stets schreckliche Nachrichten aus anderen Ländern. Seit einigen Monaten wissen wir, dass in Tschetschenien Dutzende Männer inhaftiert und in teilweise inoffiziellen Gefängnissen gefangen gehalten werden. Weil sie schwul sind.
Sie werden von der Polizei aus ihren Wohnungen geholt und so lange gefoltert, bis sie die Namen anderer mutmaßlich Homosexueller verraten, die ebenfalls inhaftiert und gequält werden. Einige von ihnen sind an den Schlägen und Elektroschocks, denen sie ausgesetzt waren bereits gestorben. Mindestens drei haben in der Gefangenschaft Selbstmord begangen. Andere wurden für viel Geld aus der Haft entlassen und ihren Familien in öffentlichen „Zeremonien“ übergeben, damit diese die Ermordung ihrer Söhne selbst in die Hand nehmen.
Wir haben dazu Briefe an Menschenrechtsbeauftragte und das Außenministerium geschickt und keine bzw. keine befriedigende Antwort erhalten. Es gibt Hinweise, dass gerade wieder eine mörderische Verfolgungswelle unsere Leute in Tschetschenien überrollt. Das dürfen wir nicht unkommentiert lassen. Wir fordern die Bundesregierung weiterhin auf, auch den neuen Berichten nachzugehen und alles in Ihrer Macht Stehende zu unternehmen, die brutale Verfolgung sexueller Minderheiten in Tschetschenien zu stoppen. Es müssen alle diplomatischen Register gezogen werden, statt die Hände in den Schoß zu legen.


Und es ist auch unsere Aufgabe, die Regierung daran zu erinnern. Wer sonst soll es denn machen (wenn nicht wir)?

 

Und wir müssen auch daran erinnern, dass Afghanistan, Pakistan, Irak, Iran und so weiter keine sicheren Herkunftsländer sind. Seit zwei Jahren existiert bei vielbunt die Gruppe „Rainbow Refugees“. Seit zwei Jahren begleiten wir Menschen aus verschiedenen Ländern, die hier in Darmstadt Zuflucht suchen. Bei den meisten ist der Grund für die Flucht aus dem Heimatland ihre sexuelle Orientierung und Identität. Sie sind geflüchtet vor staatlicher Verfolgung, vor Repressalien durch ihre Nachbarschaft und körperlichen Misshandlungen – selbst von ihren Familien. Gefängnis und Todesstrafe genauso wie Vergewaltigungen und Lynchjustiz veranlassen Schwule, Lesben, Bisexuelle und Trans*, ihre Heimat zu verlassen, um hier ein neues Leben in Freiheit und Sicherheit leben zu können. Und dennoch: Trotz der erschütternden Geschichten, die sie zu erzählen haben und der offensichtlichen Gefahr, die für ihr Leib und Leben besteht, erhalten viele queere Geflüchtete Ablehnungsbescheide und werden aufgefordert, Deutschland wieder zu verlassen. In jedem dieser Fälle haben unsere Rainbow Refugees Klage eingereicht.

 

Wir werden jedes Rechtmittel nutzen, um ihnen eine Zukunft hier bei uns zu ermöglichen. Aber wenn es ernst wird und wir mit Klagen und Widersprüchen nicht mehr weiter kommen, dann müssen wir uns etwas Neues überlegen. Und dabei werden wir wahrscheinlich viele Unterstützer_innen brauchen.
Also drückt die Daumen und haltet euch bereit.
Wir sind entschlossen und ich hoffe, ihr seid es auch!

 

 

Noch eine gute Sache will ich berichten, bevor man mir das Mikrofon entreißt! Ganz nach dem Motto „The Future is Queer“ haben wir dieses Jahr in Darmstadt nach langer mühevoller Arbeit endlich ein Queeres Zentrum eröffnet.
Die Bewegung und alles was für uns und unsere Leute wichtig ist, hat nun endlich eine Adresse in der Kranichsteiner Straße 81.
Mit den Räumen in der Oetinger Villa haben wir nun ein Queeres Zentrum mit großem Jugendangebot geschaffen, in dem ihr fast jeden Tag vorbeikommen könnt. Mitmachen, eigene Projekte realisieren oder einfach Abhängen. Das alles ist jetzt bei uns möglich. Über viele Wochenenden haben unendlich viele freiwillige Helfer_innen bei der Renovierung geholfen. Einige von euch stehen jetzt auch hier. So langsam werden die ersten Möbelstücke geliefert und ich sehe eine große queere Zukunft hier in Darmstadt auf uns zukommen. An dieser Stelle will ich mich auch bedanken bei allen, die das möglich gemacht haben.
Queeres Leben in Darmstadt ein Zuhause gefunden. Kommt vorbei uns macht mit!

 

 

Ich will aber doch noch ein einmal auf die fiesen Gestalten rund um die sogenannte „Demo für Alle“ zurück zu kommen. Wie ihr sicher mitbekommen habt, haben sie Stuttgart aufgegeben und versuchen nun mit ihrer verlogenen Hetze die hessische Politik zu beeinflussen. Gleich zwei Naziaufmärsche und ein sogenanntes „Wissenschafts“-Symposium haben sie in Wiesbaden veranstaltet. Und natürlich waren Menschen da, die sich dem entgegengestellt haben. Mit lauter Musik, Trillerpfeifen und zivilem Ungehorsam haben sie so gut es geht verhindert, dass die sogenannte „Demo für Alle“ sich hier bei uns breit macht. Aber: Wir waren nicht so viele wie wir hätten sein können. Wenn Fundis, Neurechte und Nazis gegen Minderheiten auf die Straße gehen und uns zu Perversen und Kriminellen machen, dann sind ALLE gefragt, dem laut und deutlich zu widersprechen.
Wie ich es schon oft gesagt habe: Es reicht nicht aus, einmal im Jahr auf den CSD zu gehen! Wenn Hedwig von Beverfoerde und ihre Gefolgschaft von Evangelikalen, NPD, AfD und Identitäre Bewegung glauben, noch einmal Wiesbaden unsicher machen zu können, dann müssen wir uns ihnen alle in den Weg stellen und deren Fackelmarsch in einem Desaster enden lassen. Wenn es sein muss, werde ich wieder dort sein, ich zähle auf euch!

 

 

 

Wir werden uns weiterhin für queere Angelegenheiten einsetzen. Sei es hier in Darmstadt vor der Haustür oder ein Stück weiter weg in Tschetschenien. Sei es die Schaffung von Schutzräumen für die die sich woanders nicht aufgehoben fühlen, die Ermächtigung von jungen Menschen für sich einzustehen, die Unterstützung von queeren Flüchtlingen beim Asylverfahren oder das Pochen auf Gleichberechtigung und den Abbau von Diskriminierung. Oder eben auch die Verteidigung der Demokratie und unserer Würde, wenn Nazis glauben, den Mund aufreißen zu können.

 

Es gibt weiterhin einiges zu tun! Seid dabei und steht für euch und eure Leute ein!

 

 

Stonewall was a riot – Refugees welcome – Nazis raus!                

Danke!