Rede beim IDAHOBIT 2017

Auch in diesem Jahr gab es auf dem Darmstädter Luisenplatz eine Kundgebung zum 17. Mai, dem Internationalen Tag gegen Homophobie, welcher in Darmstadt und vielen anderen Städten auch als Internationalen Tag gegen Interfeindlichkeit, Transfeindlichkeit und Bifeindlichkeit begangen wird.

Ich bin froh, dass ich wieder als Rednerin dabei sein durfte.

 

 

Wir alle haben Erfahrungen mitgebracht, die den Willen zu Veränderung vorantreiben. Erfahrungen, die wir als junge Menschen auf der Straße oder auf dem Schulhof gemacht haben. Wenn man uns als unnormal oder krank bezeichnet hat oder „schwul“ für unser Umfeld nichts anderes war als ein Schimpfwort. Wenn unser Anderssein aufgefallen ist und wir nicht mehr dazu gehörten, oder wenn unser Anderssein nicht aufgefallen ist und wir Angst hatten, uns beim Ausbildungsplatz, im Freundeskreis oder gar in der Familie zu outen.

 

Wir sind lesbisch, schwul, trans*, bisexuell oder intersexuell. Es ist für mich heute leicht zu sagen. Das war es aber nicht immer und ist es bis heute auch nicht für alle.
Die Diskriminierung auf dem Schulhof ist für viele von uns Vergangenheit. Bei einigen jedoch noch gegenwärtiger Alltag.
Auch das Coming Out vor Kolleg_innen kann immer noch den Verlust des Arbeitsplatzes bedeuten. Einige von uns würden gerne heiraten oder Kinder adoptieren, jedoch sperrt sich die Politik noch dagegen. Manche von uns können kaum eine Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln absolvieren, ohne Beschimpfungen oder Drohungen ausgesetzt zu sein. Das sind keine Erlebnisse, die alle von uns machen, aber doch einige.
Diskriminierung und Verfolgung sexueller Minderheiten ist kein Problem der Vergangenheit: Opfer des sogenannten Schwulen-Paragrafen 175 sind bis heute nicht vollständig rehabilitiert und entschädigt, neurechte Bewegungen gehen gegen Gleichstellung auf die Straße und die Selbstmordrate von homosexuellen und transsexuellen Jugendlichen ist vier bis fünf mal höher als bei den übrigen.

 

Dennoch schauen wir uns im Rest der Welt um und sehen: Wir haben das Glück, in einer Gesellschaft zu leben, in der unsere bloße Existenz nicht verboten ist. In der wir eine Stimme haben mit der wir auf uns aufmerksam machen und Forderungen formulieren können.

 

Und ich sehe es deshalb als unsere Pflicht an, die Stimme die wir haben zu nutzen.

Heute möchten wir den Fokus vor allem auf die Situation von trans* Kindern in Deutschland legen. Jedoch wollen wir auch zuerst über die Grenzen des Landes hinaus schauen. Nach Tschetschenien.

 

Vor einigen Wochen erreichten uns vor allem in den queeren Netzwerken und Medien schreckliche Meldungen über massive Menschenrechtsverletzungen gegenüber Schwulen in der autonomen Republik Tschetschenien. Die russische Tageszeitung [Nowaya Gaseta] Nowaya Gasjieta hat im April aufgedeckt, dass seit Anfang des Jahres über 100 mutmaßlich homosexuelle Männer entführt und mindestens drei ermordet worden sind.

 

Junge Männer wurden in ihren Wohnungen oder am Arbeitsplatz verhaftet und in geheime Gefängnisse in Groznyy verschleppt. Nur weil sie schwul sind. Sie werden dort von der Polizei so lange gefoltert, bis sie die Namen anderer mutmaßlich Homosexueller verraten haben, die dann wiederum ebenfalls inhaftiert und gequält werden. Auch über die Apps und Kontaktlisten in ihren Mobiltelefonen kam die Polizei an die Namen weiterer schwuler Männer. Das Wissen um dieses Vorgehen verschärft die Situation für die Betroffenen weiter. Niemand traut sich mehr Kontakt zu seinen Leuten aufzunehmen. Wer Verhaftungen befürchtet, löscht seine Apps und selbst die Suche nach Hilfe ist so mit einem Risiko für Leib und Leben verbunden.
Die wenigen Opfer, die der Folter entkommen und nicht abgetaucht oder verschwunden sind, haben die Vorgänge in Tschetschenien bestätigt. Im April waren drei Todesopfer bekannt.
Wir wissen derzeit nicht, wie viele von ihnen mittlerweile an den Schlägen und Elektroschocks, denen sie ausgesetzt waren gestorben sind. Wir wissen, dass die die frei gekommen sind, dafür all ihre Ersparnisse aufbringen mussten. Ebenso wird jedoch auch berichtet, dass Familien bei einer Freilassung ihrer Söhne versprechen mussten, diese selbst zu töten.

 

Die Machthaber der autonomen Republik Tschetschenien tun die Berichte über diese staatlich organisierte brutale Verfolgung sexueller Minderheiten als Falschmeldungen ab, da sie grundsätzlich die Existenz von Homosexualität in ihrem Land bestreiten.

 

Die Bundeskanzlerin und weitere Außenminister_innen anderer Länder haben den Präsidenten der Russischen Föderation, Vladimir Putin, aufgerufen sich einzuschalten. Die aufgenommenen Ermittlungen führten bis zum heutigen Tag jedoch zu keinem Ergebnis.

 

Die Organisation LGBT Russia hat indes die Evakuierung betroffener Leute aus Groznyy und anderen Teilen Tschetscheniens organisiert und dafür international um Spenden gebeten. Viele von uns haben Geld gegeben. Um Leben zu retten. Mittlerweile konnten 40 Menschen aus Tschetschenien entkommen. Weitere warten noch auf Hilfe.

 

Gleichzeitig gab es eine Petition, die ein Einschreiten der russischen Regierung gefordert hat. Auch wir haben unterschrieben. Fünf Aktivist_innen, die der Generalstaatsanwaltschaft zwei Millionen Unterschriften übergeben wollten, wurden kurz davor von der Moskauer Polizei festgenommen. Bei anderen Protesten am 1. Mai in St. Petersburg kam es ebenfalls zu Verhaftungen von Menschen, die auf die ungesetzliche Schwulenverfolgung in Tschetschenien aufmerksam machen wollten um ihren Leuten irgendwie zu helfen. Die Republik Tschetschenien plant, sexuelle Minderheiten auszurotten und Russland verhindert, dass dagegen protestiert wird.

 

Wir fordern die Bundesregierung dazu auf, sämtliche diplomatische und humanitäre Mittel zu ergreifen um dieser Schwulenhatz ein Ende zu setzen. Wir fordern entschlossene Taten. Wir fordern, den Verfolgten uneingeschränkt Asyl zu gewähren! Wir fordern, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

 

Und euch alle möchte ich dazu aufrufen zu spenden. Für die Evakuierung unserer Leute aus Tschetschenien und für die Gerichtsprozesse, die Aktivist_innen in Moskau bezahlen müssen. Weil sie auch unsere Petitionsunterschriften übergeben wollten.

 

Spendenaktion: Evakuierung aus Tschetschenien
Spendenaktion: Verhaftet in Russland

 

 

Queere Menschen weltweit sind mit Diskriminierung, Gewalt und Kriminalisierung konfrontiert. Wir müssen uns solidarisieren, laut werden, provozieren und die Welt verändern.
Heute, morgen und sehr wahrscheinlich auch übermorgen.

 

Stonewall was a Riot! Refugees Welcome! Nazis raus! Danke.

 

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